Über die Critical Mass in Nairobi (Kenia)

Ja, liebe Leute, auch in Nairobi gibt es eine regelmäßige Critical Mass. Bei dem Verkehr und der fast vollständigen Abwesenheit einer Infrastruktur für Radfahrer auf jeden Fall ein gefährliches Unterfangen. Deswegen war ich neugierig und habe bei der Organisatorin, Cyprine Mitchell, nachgefragt, wie die Critical Mass organisiert und durchführt wird. Unten im Beitrag findet ihr auch Cyprines Originalantworten in Englisch.

Aber als erstes ein kurzes Corona Update: Auch in Kenia wurden strenge Schutzmaßnahmen während der Pandemie erlassen. Diese werden erstmal bis Ende September aufrecht erhalten. Bis dahin sind größeren Menschenansammlungen untersagt. Aufgrund dessen ist auch die Critial Mass Nairobi bis auf Weiteres ausgesetzt.

Wie alles begann

Begonnen hat alles 2014, als zwei Typen namens Brain Osundwa und Rakesh Young die Cricial Mass Nairobi ins Leben riefen. Brian wanderte allerdings 2015 Richtung Europa aus und auch Rakesh verließ die Critical Mass, um ein Radtour-Unternehmen zu gründen. Da somit die Hauptorganisatoren nicht mehr dabei waren, wurden auch die Treffen und die Teilnehmer immer weniger. Zum Schluss kamen kaum mehr als 10 Radfahrer zusammen.

Zu dem Zeitpunkt hatte sich aber Cyprine bereits so sehr in das Radfahren und die Critical Mass verliebt, dass sie deren Ende nicht einfach so hinnehmen wollte. Daher übernahm sie ab 2016 die Organisation und machte die Critical Mass Nairobi zu dem, was sie heute ist.

Wie es momentan läuft

Momentan ist Cyprine die einzige Organisatorin. Aber es gibt einige, die ihr bei der Durchführung helfen, die sog. Ordner. Sie klären die Teilnehmer über die Verhaltensregeln auf und Überwachen deren Einhaltung. Auch helfen sie Cyprine bei der Planung, Kommunikation, Festlegung der Strecke, dem Marketing usw. Denn die Art und Weise, wie in Nairobi die Critical Mass organisiert und durchgeführt wird, unterscheidet sich ein wenig von anderen auf dieser Welt.

Radwege

Anfangs fuhren alle Teilnehmer nur zum Spaß und die Strecke führte regelmäßig ausschließlich durch Gegenden mit guten Straßen. Aber das hat sich mittlerweile geändert. Jetzt fahren sie auch durch Stadtteile, die über weniger gute Wege verfügen. Denn auch die Menschen in diesen Vierteln sollen sehen, dass Radfahrer eine ernstzunehmende kritische Masse darstellen. Durch die gemeinsamen Ausfahren wollen sie Forderungen nach besseren Straßen und einer nachhaltigeren Verkehrspolitik an die polititsche Entscheidungsträger richten und auch andere für das Radfahren begeistern.

Kenianische Verkehrsregeln

Momentan existieren in Kenia noch keine Regelungen, die Radfahrer schützen. Erst recht nicht, wenn sie als Gruppe fahren. Aber Cyprine arbeitet gerade an einem Projekt namens „Bike Train“. Dabei sollen verschiedenste Routen in Nairobi abgefahren und andere Menschen dazu gebracht werden, dem Bike Train zu folgen. Erst wenn diese „Radzüge“ erfolgreich sind, soll in einem zweiten Schritt Lobbyarbeit betrieben werden. Denn erst dann lohnt es sich, auf Entscheider und Politiker zuzugehen, um für bessere Gesetze und Verkehrsregeln zu kämpfen.

Ampeln an „normalen“ Tagen

Das Ampelsystem in Kenia ist leider nicht gut koordiniert. Ampeln scheint es nur deswegen zu geben, um Autos die Weiterfahrt zu ermöglichen. Sicherheit und Bequemlichkeit für Fußgänger und Radfahrer kommt – wenn überhaupt – erst an zweiter Stelle. Of passiert es, dass Fußgänger und Straßenverkehr zur selben Zeit grün erhalten. Dabei kommt es regelmäßig zu gefährlichen Situationen, denn die kenianischen Autofahren haben nur wenig Respekt vor anderen Verkehrsteilnehmern. Wenn du dir ein Auto leisten kannst, bis du etwas Besseres. Dem entsprechend gehören Radfahrer und Fußgänger einer „unteren Kaste“ an. Wird also allen zeitgleich Grün angezeigt, sind Radfahrer und Fußgänger entweder gezwungen, über die Straße zu sprinten oder müssen abwarten, bis alle Autos vorbei sind.

Regeln während der Critical Mass

Obwohl die Critical Mass in Nairobi regelmäßig als große Gruppe unterwegs ist, versuchen alle, sich an die Verkehrsregeln und die Grünphasen zu halten. Es fahren also nicht alle wie in Deutschland trotz Rot weiter über die Kreuzung, sondern halten an, sobald die Ampel umschaltet. Dadurch wird die Critical Mass häufig in Gruppen aufgespaltet. Das lassen die Teilnehmer aber auch absichtlich zu, um den Autofahrern zu zeigen, wie man sich korrekt verhält. Es gibt allerdings auch große Kreuzungsbereiche, die über keinerlei Ampel verfügen. Dort sorgen dann die Ordner dafür, dass alle die Kreuzung überqueren können, indem sie die Autos anhalten und am Weiterfahren hindern. Ab und zu erhalten sie auch Unterstützung durch die örtliche Polizei, die die Radfahrer beim Überqueren hilft.

Verhalten während der Critical Mass

Ein Motto der Critical Mass Nairobi lautet „Teile die Straße“. Es sollen also andere Verkehrsteilnehmer nicht daran gehindert werden, die Straße zu nutzen. Daher nehmen die Teilnehmer abhängig von der Straßenbreite entweder die linke Straßenspur (in Kenia herrscht Linksverkehr) in Beschlag oder sie fahren maximal zu zweit nebeneineiner im „Gänsemarsch“. Auch hier sorgen die Ordner dafür, die sich alle daran halten und die notwendigen Anweisungen befolgen. In bestimmten Stadtteilen gibt es sogar Radwege, die aber nicht wirklich sicher sind. Trotzdem werden solche Radwege genutzt, um die Teilnehmer vor dem fließenden Verkehr zu schützen.

Teilnehmer

Teilnehmer der Critical Mass sind Radfahrbegeisterte aller Altersstufen. Die Jüngsten sind rund 4 Jahre alt, die Ältesten über 60. Immer häufiger kommen bis zu 300 Radfahrer zusammen. Die kleiden sich häufig in Lycra und sehen dadurch sehr sportlich aus. Aber selbstverständlich gibt es keine Kleiderordnung.

Verkehrssicherheit

Probleme mit der Sicherheit der Teilnehmer gibt es meistens nicht. Ob es an den mitradelnden Kindern liegt oder den vielen glücklichen Gesichtern der Teilnehmer, darüber ist sich Cyprine nicht ganz im Klaren. Aber häufig wird die Gruppe durch andere Verkehrsteilnehmer sogar angefeuert. Cyprine meint sogar, dass die Autofahrer ruhiger werden, sobald sie auf die radelnde Masse stoßen.

Festlegung der Route

Ein bis zwei Wochen vor der monatlichen Ausfahrt wird die Route bestimmt. Dabei legt Cyprine insbesondere Wert auf die Vermeidung möglicher Gefahrenstellen und dem Vorhandensein ausreichend großer Bereiche zum Anhalten. Denn einen Ort zu finden, an dem mehr als 300 Radfahrer zum Stehen kommen können, ist regelmäßig eine schwierige Angelegenheit. Also fahren Cyprine und ihre Mitstreiter vorab Viertel und Wege ab, durch die sie noch nie gekommen sind und beurteilen deren Befahrbarkeit. Erst danach wird die finale Strecke festgelegt, kartiert und den Teilnehmern mitgeteilt. Sie wissen also vorab, wo die nächste Critical Mass langfährt

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Und hier das Original von Cyprine Mitchell:

How we started

Critical Mass Nairobi was started in 2014 by two gentleman Brain Osundwa and Rakesh Young. Brian Osundwa soon migrated to Europe in 2015 and Rakesh left and started his cycling tour company called Baiskeli Adventures. With both departures the movement started dying to a point where we had very few rides and less than 10 people coming. At this point I was so in love with cycling in a group and I did’t want the movement to die. I asked to take leadership in 2016 and grew the movement to what it is now. At the moment I am the only organizer but I have a team of cyclists who help with marshaling duties. I am also working had to get the marshals to help with other aspects including communication, marketing, planning, mapping, advocacy etc.

The way we organize our rides is slightly different from how others do around the world. In the beginning, we rode mostly for fun and in neighborhoods that had good roads but we switched things up to now ensuring we ride in all neighborhoods, regardless of the state of the road. We do that because we want people in all neighborhoods to see that cyclists do exists and also we use this opportunity to challenge policy makers to design better roads in those neighborhoods.

Pro-cycling laws

At the moment we still don’t have any proper laws that protect cyclists who ride as a group. But I am currently working on a Nairobi Bike Train project where together with other cyclists, we will identify different routes all over Nairobi and get people to ride together. I think it is only after the success of the bike trains that we shall be in a position to lobby for laws that can protect the cyclists.

Traffic signals on a normal day

Out traffic signaling system is not well coordinated and they seem to have been installed to ensure better movement for cars and not necessarily the safety or convenience of pedestrians or cyclists. Many times we find the pedestrians green light is on the same time as the green light for on-coming vehicles.(yes it’s that shocking!). Kenyan motorists also don’t have much respect for pedestrians or cyclists so if by bad luck you happen to be crossing the road when both your lights are green (or even when there light is red), cyclists and pedestrians are forced to run or wait until the cars pass.

Traffic signals during Critical Mass

Although we are in a big group, we always try and follow traffic signals. This sometimes forces the group to split but we do this so we can show motorists that they can also do better. However, there are several intersections that don’t have traffic signals. On these intersections marshals take control of the intersection and stop cars to allow the cyclists to pass. We have been lucky to get the support of the local traffic police who stop the cars and allow cyclist to keep moving. In this instance „we move like a train“.

How we cycle

One of our mottos is ’share the road‘ so we don’t block other road users from using the road. Depending on the width of the road we either take a whole land (usually the left lane) or ride two-by-two or single file. The marshals ensure that all cyclists follow the necessary instructions. We do have bike lanes in certain parts of the city but they aren’t the easiest or safest to use. But we use them whenever we can as long as the group will not be endangered.

Who comes for critical mass?

Everyone. From 4 years olds to people above 60. The photos can be deceiving sometimes but it’s because most cyclists including the older ones want to look cool and wear lycra 🙂 We don’t have any dress codes.

Security

I don’t know if it’s the children or just seeing happy faces of people on bicycles but we don’t usually encounter challenges with matatu drivers or other road users. In most instances they are so happy to see us and cheer us on. Motorists really mellow down- i think it’s the children 🙂

Route determination

We always carry out a route assessment a week or two before the monthly ride to identify black spots and stopping zones. Finding a location where more than 300 cyclists can stop is usually a hard task but we manage. We look at neighborhoods we haven’t gone and assess their ride-ability. Myself together with the marshals identify the routes.